Die Dinge
zueinander
organic stories, 2017
Wir sind in meinem Salonladen in der Ackerstraße: Friseur? Lauter kleine Habseligkeiten? Übertöpfe in Wollhosen? Kosmetika überall? Und Fotografie? Immer wieder verwunderte Blicke, der unsichere Gesichtsausdruck zieht sich durch und ganz manchmal dann die offensichtlich so viel Mut kostende Frage: „Wie passt das denn alles zusammen was Sie da machen?“
Große Frage – einfache Antwort. Lange habe ich den Wald vor lauter Bäumen nicht gesehen, denn sie ist so einfach, dass sie mir selbst in ihrer Klarheit erst vor Kurzem ganz plötzlich beim Zähne putzen in den Kopf schoss und ziemlich banal klingt: Es war schon immer die Begeisterung, Dinge in Bezug zueinander zu bringen. Das öffnet meinen Geist. Warum das so ist? Keine Ahnung.
kleine
Anordnung
installation, 2000
Es ist die Vermutung einer Poesie hinter den Dingen. Manchmal kommt sie zum Vorschein, wenn ich etwas in seiner Formalität kombiniere was inhaltlich im ersten Moment nichts mit einander zu tun hat. Es entsteht etwas, was ich vielleicht als sinnbefreite, jedoch poetische Symbiose bezeichnen würde. Dann wird es spannend und sehr sehr individuell. Manchmal erscheint eine Kombination universell logisch und folgerichtig zu sein und manchmal ist sie aus intuitiven, persönlichen Gründen goldrichtig. Es ist wie Flanieren. Schlendern ist Luxus. Versuchen mit freiem Kopf die Dinge wahrnehmen und zu sehen, was passiert. Ja, es hat was Kreatives, womöglich kindlich freies. Vielleicht eine Überlebensstrategie. Auf jeden Fall macht es mich glücklich, ist entspannend und hört nie auf.
aus der Serie TURBULENZEN, 2000
Wann passiert das? Nun ja. Zum einen können es kleinen banale Dinge sein, die in jeder Sekunde um uns herum sind. Unscheinbare Kleinigkeiten, die mir unterwegs auffallen und in meine Taschen wandern. Unerwartete, spannende Details, die bei kreativen Prozessen z.B. beim Fotografieren oder 3dimensional Arbeitens zum Vorschein kommen. Das sind alles Momente die mir viel über das große Ganze, zu dem sie gehören, oder aus dem sie entnommen wurden, erzählen. Es ist und bleibt ein Versuch, eines zu begreifen: Nämlich dass wir uns selbst und alle anderen als Individuen, Gesellschaftsmenschen und als Mitbewohner dieser Erde betrachten sollten. Oder gar müssen. Diese Gewissheit, verbunden mit dem tiefen Gefühl, dass mein Gewissen dazu nickt, bringt mich auf den Weg. Auf den Begriff des Gewissens; diesen mir doch recht diffusen Begriff, stoße ich in letzter Zeit wieder häufiger. Immer wieder im Zusammenhang mit dem individuellen Impact unseres Handelns auf die Natur.
aus der Serie TURBULENZEN, 2000
eins
zwei
drei
Gewissen – Emanuel Kant bestimmt es so: In unserer Seele ist etwas, dass wir Interesse nehmen, an 1) unserem Selbst, 2) an Anderen, mit denen wir aufgewachsen sind und dann muss 3) noch ein Interesse am Weltbesten stattfinden, wenn es auch nicht der Vorteil unseres Vaterlandes oder unser eigener Gewinn ist. Zwei Zugehörigkeiten also. Die zu uns selbst und zu unserem Nächsten. Und eine Pflicht, das Interesse am Weltbesten zu haben. Das Weltbeste, das für Kant mit Ehrfurcht vor dem bestürmten Himmel zusammenhängt, mit dem erkannten Gefühl von der Verknüpfung unserer Existenz mit Welten über Welten und Systemen von Systemen noch über den Horizont unserer Lebenszeit hinaus.
aus der Serie: contact high, 2014
Über Allgemeines
und Gestaltung
die welt
wird weiter
INDIVIDUALS, 2003
Und dieses Interesse am Weltbesten muss sich verändern, muss wachsen wenn die Welt in der wir leben, wächst und weiter und komplizierter wird.
Klingt nach Überforderung? Ist es nicht. Es ist vielmehr eine sehr offene Formulierung, in der Gefühle und Erkenntnisse in der inneren Stimme zusammenkommen. Kant formuliert dieses Gewissen als Pflicht, die sich aus der Verbundenheit unserer kleinen Existenz mit der Welt außer uns bis ins Unendliche ergibt. Pflicht aber, das ist ihre älteste Bedeutung, heißt pflegen, teilnehmen, Gemeinschaft haben, mit etwas verbunden sein. Und die geheimnisvolle Kraft, die das in uns weckt, ist die Liebe zu dem, was da kommt und wer da kommt. So gesehen fallen im Gewissen, moralisches Gefühl, Wissen und Lebensform zusammen. Und Gewissen wäre dann das mit Empathie und Selbstachtung ausgestattete vollständige Wissen darüber was wir sind.
Individuen, Gesellschaftsmenschen und Bewohner der ganzen Welt. Daraus könnte dann eine wirkliche Leitkultur wachsen. Der Beginn einer neuen großen Erzählung, die in die Zukunft führt, in der Emotionen und Erkenntnisse zusammenfließen zu einer kräftigen Praxis.
Soweit Mathias Greffrath über Kant
aus DFK Essay und Diskurs vom 22.12.2019, Rückblick und Ausblick – Saisonschluss (3/3)
OPTIMISMUS
IST
PLICHT
Zum Ende möchte ich noch kurz für das Detail plädieren. Mit der Notwendigkeit individueller Wahrnehmung und Meinungsbildung. Für Wertschätzung und Empathie, auch für die kleinen unscheinbaren Momente und Dinge. Für die Begeisterung am Selbstentdeckten. Für Bescheidenheit und Dankbarkeit. Mit der Loslösung von Mainstream, Gruppenzwang und Dogmen. Für mich, für Dich, für alle.